Selbstzeugnisse der frühen Neuzeit
in der Herzog August Bibliothek

Einleitung und Handschriftenbeschreibung zu Cod. Guelf. 211.1 Extrav.: Tagebuch Herzogin Christine Luises von Braunschweig-Wolfenbüttel, 1698–99

Vorsatzblatt recto: Journal weyl. Christinen Louise, geb. Fürstin v. Oettingen, Ludwig Rudolfs Herzogs zu Braunschweig Luneb. Gemahlin. n. 20. Mart. 1671. den. 12. Nov. 1747. Vom 9. Mart. 1698 biß 19. Jul. 1699.
2, 70 Bl. teils eigenh., teils andere Schreiberhände. Mit Marmorpapier überzogener Pappband des 18. Jahrhunderts. Vgl. Wolf-Dieter Otte: Die neueren Handschriften der Gruppe Extravagantes, Bd. 2. Frankfurt a. M. 1987 (Kataloge der Herzog August Bibliothek, Neue Reihe Bd. 18), S. 202.
Links: Digitalisat, edierter Text, Selbstzeugnisrepertorium

Bei dem Selbstzeugnis, das als Band 211.1 im Bestand „Extravagantes“ verzeichnet ist, handelt es sich um das Fragment eines Tagebuchs der 28-jährigen Herzogin Christine Luise von Braunschweig-Wolfenbüttel (1671–1747), das auf 140 Seiten den Zeitraum vom März 1698 bis Juli 1699 (julian.) umfasst und in der überlieferten Form eine Art Reisetagebuch darstellt. Der mit Blatt 1 einsetzende Tagebuchtext ist anfangs in einer Schreiberhand verfasst, der auf dem vorhergehenden Blatt stehende Titel in einer anderen Schreiberhand; auf etwa der Mitte von Blatt 9 beginnt (mit dem Tageseintrag zum 12. Juli 1698) der autograph verfasste Teil. Einem Diarium entsprechend existiert in der Regel pro Tag ein Eintrag. Nahezu ausschließlich sind es sehr kurze Einträge, die selten über zwei, drei Zeilen hinausgehen. Zwischen den einzelnen Tageseinträgen gibt es keine erkennbaren Absätze, vielmehr ist der Text fortlaufend geschrieben. Die Orthographie und die Zeichensetzung sind teils recht frei, die Schreibung folgt stark dem phonematischen Prinzip (d. h. schreiben, wie man spricht).

Der Wirkungskreis der jungen Herzogin erstreckt sich auf den Bereich des Hofes zwischen Wolfenbüttel, Salzdahlum und Braunschweig und wird unterbrochen durch Reisen zu ihrem Bruder Albrecht Ernst nach Oettingen und Schrattenhofen (März bis Mai 1698), zu ihrer Tante Christine Charlotte und ihrer Schwester Eberhardine Sophie nach Ostfriesland (Februar bis April 1699) und zu einer Reise nach (Bad) Ems und ins Fürstentum Nassau-Idstein zu ihrer Schwester Henriette Dorothea (Mai bis Juli 1699).

Thematisiert werden Reiserouten, getätigte und empfangene Besuche, Mahlzeiten, Zeitvertreib beim Spiel auf den höfischen Assembleen oder im Privaten, der Besuch von Komödien, Schauspielen, Opern und Marionettenspielen, Maskeraden und Tanz, Kutschfahrten, aber auch Jagden. Bisweilen vermerkt die Herzogin Unwohlsein. Reflexionen, Wertungen oder Expression emotionaler Befindlichkeit finden sich hingegen nicht.

Mit dem Ende von Blatt 70 bricht die Textüberlieferung kurz nach der Rückkehr nach Wolfenbüttel (15. 7. 1699) unvermittelt ab, mitten im Satz im Eintrag zum 19. Juli 1699.